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Warum das System verändern, wenn man am Einzelnen rumdoktorn kann?

Wir sind immer wieder verblüfft, was unter „gesundem Arbeiten“ verstanden wird. Es geht nie darum, eine Arbeitswelt zu erschaffen, die gesund ist. Es geht nicht darum, Organisationen zu kreieren, die selbst gesund sind und so auch Gesundheit einen Nährboden bieten. Es geht immer darum, wie der Einzelne irgendwie das System überleben kann: mit besseren Stühlen, Yoga, Selbstmanagement, Ernährung, Entspannung, Suchtprävention. Irgendwie muss der Einzelne so stark und resistent gemacht werden, dass er auch unter schwierigen Umständen gesund bleibt. Es werden Bewegungsmultiplikatoren, Ergonomie-Multiplikatoren, Entspannungs-Multiplikatoren ausgebildet und Führungskräfte werden in Fehlzeitenreduzierung und gesundheitsgerechtem Führen geschult. Der Einzelne soll stark sein und genau genommen ist aber seine Führungskraft dafür zuständig, dass er es auch ist.

Doch oftmals ist es das System, das krank macht. Das können auch der stärkste Mitarbeiter und die beste Führungskraft nicht ändern, wenn sie immer nur die Einzelperson optimieren.

Gesund arbeiten bedeutet laut Salutogenese, dass

  • alle Mitarbeiter die Welt verstehen, in der sie sich befinden. Doch wie oft werden Entscheidungen nicht verstanden, Regeln nicht verstanden, Ziele nicht verstanden, die eigene Rolle nicht verstanden. Es fehlt an Transparenz und Ehrlichkeit.
  • alle Mitarbeiter tatsächlich die Macht haben, etwas zu bewegen. Doch wie oft ist jeder Schritt reglementiert und jedes gescheiterte Experiment führt zu Anklagen. Es fehlt an Vertrauen und Fehlerfreundlichkeit.
  • alle Mitarbeiter die Arbeit, die sie tun, als sinnvoll empfinden. Doch wie oft werden unsinnige Aufträge abgearbeitet und die Frage nach dem Sinn als Naivität abgetan. Es fehlt an Verbundenheit und Freiheit.

Wir wünschen uns, dass beim Thema „Gesundheitsmanagement“ auch diese Diskussionen geführt werden. Arbeiten wir so miteinander, dass Verstehbarkeit, Handhabbarkeit und Sinnhaftigkeit gegeben sind?

Dieses Jahr durfte ich auf dem Psychiatriekongress meine Geschichte erzählen… und war selber wahrscheinlich von allen am meisten berührt…

Von den Geschichten der Menschen, die nach der Psychiatrie verloren gehen, doch fast noch mehr von den Geschichten der Menschen, die der Psychiatrie zu radikaler Veränderung verholfen haben, um dann dabei zuzusehen, wie die Verwaltung übernimmt. Ich habe versucht, so deutlich wie möglich zu erklären, wie ich die Hilfe des „Systems“ in Anspruch nehmen wollte, also Reha, Arbeitsfeststellungen, Umschulungen, und wie wenig mir die nettesten Menschen der Welt helfen konnten. Sie waren immer auf der Suche nach einer Antwort auf die Frage, OB ich arbeitsfähig bin, während ich immer nach einer Antwort auf die Frage, WIE ich arbeitsfähig bin, suchte.

Zu meiner Überraschung und Freude haben die Leute während meines Vortrages viel gelacht… ich scheine lustig zu sein 😉

Ich habe am Schluss erzählt, wie ich in „EinfachArbeiten“ eine Lösung gefunden habe – und mein Workshop am nächsten Tag war überlaufen. Die Sehnsucht nach inklusivem Arbeiten ist enorm. Was mir besonders gut gefallen hat, war, wie klar es für alle Beteiligten war, dass diese Arbeitsformen nicht nur eine Möglichkeit der Integration kranker Menschen sind, sondern vor allem auch für uns selbst als gesunde Prävention.